Kategorie: Shibaribegriffe Seite 1 von 4

9 Pforten

Die 9 Pforten sind der theoretische und philosophische Kern des Osada-Ryû, denn sie beschreiben die wesentlichen Elemente des Unterrichts. Alle Techniken sind auf diese Konzepte bezogen oder drücken sie aus.

Die Grundprinzipien der 9 Pforten prägen den Unterricht und die Vorgehensweise im Osada-Ryû. Sie durchdringen sämtliche Kyû, jedes Muster und jede Technik. Ausserdem verbinden sie die einzelnen Schulen in Tokio, Wien (betrieben von Vinciens), Königswinter, Bremen, das S65 in Vogelsang und natürlich die Harukumo-Juku in Koblenz.

9 Pforten des Osada-Ryû
  1. Tachi-ichi, 立位置 – (Position(ing)) – Beschreibt die Position und Haltung von Bakushi und Ukete.
  2. Ma-ai, 間合い – (Proximity) – Beschreibt Nähe und Distanz.
  3. Sabaku, 捌く – (Rope Handling) – Elegantes Führen des Seils mit Effizienz und wenig Reibung.
  4. Urawaza, 裏技 – (Hidden Techniques) – Interaktionen zwischen Bakushi und Ukete, die aber nicht erkennbar sind von aussen.
  5. Ki, 気 – (Energy) – Lebenskraft oder Energiefluss, der den Austausch zwischen Bakushi und Ukete beschreibt.
  6. Kankyû, 緩急 – (Tempo & Rhythm) – Dynamik und Rhythmus, die die Shibari-Begegnung mit Spannung füllen.
  7. Kan, 勘 – (Intuition) – Intuitives Antizipieren der nächsten Schritte, und emotionalen Zustände während der Shibari-Begegnung.
  8. Muganawa, 無我縄 – (Empty Mind) – Ein besonderer Geisteszustand.
  9. Kuden, 口伝 – (Oral Tradition) – Mündliche Übermittlung von Wissen durch den Sensei.

Diese Inhalte sind theoretisch nur schwer vermittelbar, da sie von der Interaktion zwischen Lehrperson und der lernenden Person leben. Bei jeder Technik und jedem Muster können diese Elemente anders zusammenspielen und neue, interessante Interaktionen hervorbringen.

Da in jeder Ausbildungsstufe unterschiedliche der 9 Pforten im Vordergrund stehen, werden indiviudelle Schwerpunkte gesetzt und an die Entwicklung der Lernenden angepasst.

Aibunawa

Aibunawa (愛撫縄) bedeutet „Streichelndes Seil“. Es ist der Gegenbegriff zu Semenawa und ist eines der Kernkonzepte im Yukimury-Ryû. Es beschreibt die Art, wie das Seil eingesetzt wird, nämlich zärtlich und vorsichtig. Das Ziel ist es, Schmerz und unangnehme Empfindungen so weit wie möglich zu reduzieren.

Es geht um sanfte Reize und subtile Interaktionen, so dass sich ein harmonisches Miteinander zwischen Bakushi und Ukete entfaltet. Dabei geht es um ein liebevolles und sanftes Miteinander, das dabei hilft, Sinnlichkeit und tiefe Emotionen hervorzubringen. Dieses Art, Shibari zu machen, ist das Markenzeichen von Yukimura Haruki.

Extreme körperliche Reize wie Schmerz oder starke Kompression spielen keine Rolle. Derart starke Reize übersteuern den intuitiven Ausdruck von Ukete und erzwingen eine Reaktion, während Aibunawa eine Einladung ist, sich zu öffnen.

To me, shibari is an emotional exchange between a man and a woman. That´s unique to Japan – to express love and emotion entirely through the medium of rope. So Shibari is not how you do this tie or that tie, it’s how you use the rope to exchange emotions with another.

Yukimura Haruki

Es kann deutlich schwieriger sein, Aibunawa zu machen als Semenawa. Semenawa erfordert eine klare Führung, und Ukete weiss, was erwartet wird. Die körperliche Herausforderung dabei bewirkt schon viel, und hilft, mental in die richtige Haltung zu gelangen.

Aibunawa lässt jedoch mehr Raum und fordert mehr Kooperation. Es kommt dabei auch sehr auf die Vorlieben von Bakushi und Ukete an, welche Form von Shibari besser funktioniert.

Ambivalenz als Stilmittel

Aibunawa wird generell auch mit weniger Seil und lockerer gefesselt als Semenawa. Dies erlaubt die Illusion, dass eine Flucht aus dem Seil noch möglich ist, während jedoch die subtilen Fähigkeiten des Bakushi Ukete stets weiter führen. Die Hierarchie wird versteckt, nicht aufgehoben oder unterlaufen, und je mehr Ukete begreift, wie unentrinnbar die Situation ist, desto intensiver wird das Erleben.

Aibunawa hat also eine ambivalente Bedeutung und spielt bewusst mit dieser Vieldeutigkeit.

Aomuke-zuri

Aomuke-zuri (仰向け吊り) bedeutet „Suspension in Rückenlage“. Es ist eine der einfachsten und sichersten Suspensions, die unterrichtet werden. Sie erlaubt eine klare, gerade Linienführung und ist eine gute Basis für Transitions, zum Beispiel in den Sakasa-tsuri.

Aomuke-zuri, Osada Steve, Studio SIX, Tokio
Aomuke-zuri, gezeigt von Osada Steve im Studio SIX in Tokio

Die Grundposition ist horizontal. Dabei ist es wichtig, das Gewicht passend zwischen dem Haupthängeseil, dem Korsett-Hängeseil und den Seilen an den Fussgelenken zu verteilen.

Das Pattern ist fester Teil des Osada-Ryû und wird als eine der ersten Suspensions gelehrt. Die Basis ist der Tasuki-Takatekote mit einem Korsett um die Taille, allerdings kann alternativ auch ein Hüftharness verwendet werden. Da das Korsett aber schneller gebaut ist, ist es vor allem für Performances sehr gut geeignet.

Der Aomuke-zuri lässt viele Varationen zu. Darum ist dieses Muster eine beliebte Basisvariante, aus der heraus oft kreative Transitionen ausgeführt werden.

Die relative Sicherheit der Grundtechnik ist dabei ein Pluspunkt. So lässt sich mit etwas mehr Ruhe und Überlegung als bei anderen Suspensionen der nächste Schritt planen.

Aomuke-zuri, Variation des Themas, Harukumo-Juku 2021
Aomuke-zuri, Variation, Harukumo-Juku, 2021

Aomuke-zuri wirken of etwas steif, da nur wenige schräge Linien darin sind. Das wird aber durch die Transition in den Sakasa schnell anders. Ukete hat ausserdem viele Möglichkeiten zu posieren. Dies macht Aomuke-Formen sehr interessant und vielfältig.

Bakushi

Bakushi (縛師) bezeichnet den aktiven Teil im Shibari, den „Fesselmeister“. Eine Variante zu diesem Begriff ist „Kinbakushi“ (緊縛師), die aber weniger gebräuchlich ist. Japanisch ist eine sehr ökonomische Sprache und Begriffe, die aus einer langen Reihe von Kanji bestehen, werden in der Regel so weit wie möglich verkürzt.

Bakushi ist einerseits eine Selbstbezeichnung, aber auch eine Rollenbeschreibung. Der Bakushi hat, in einem Shooting, einer Performance, oder einer Session, eine klare Aufgabe. Es ist die Kompetenz im Umgang mit dem Seil, die einen Bakushi auszeichnet.

Osada Steve, Bakushi aus Tokio.

Osada Steve, Bakushi aus Deutschland. Seit über 40 Jahren prägt er Shibari in Tokio und mittlerweile auch weltweit. Sein Stil und seine Lehren inspirieren nicht nur die Juku, sondern auch zahlreiche andere begeisterte Shibaristas. Mittlerweile wird sein Stil auch von seinen Instruktoren in Deutschland und einigen besonders begabten Lernenden, zum Beispiel in Argentienien, den USA, Australien und Nordeuropa, unterrichtet.

Yukimura Haruki. Bakushi aus Osaka.

Yukimura Haruki, Bakushi aus Osaka. Den Grossteil seiner Karriere verbrachte er in Tokio. Sein Stil zeichnet sich durch Subtilität und Feinfühligkeit aus. Die grossen Geheimnisse, die die weichen Bewegungen umgeben, werden mittlweile in Schulen überall auf der Welt weiter unterrichtet. Leider verstarb er im Frühjahr 2016, so dass sein Erbe jetzt in den Händen seiner Instruktoren liegt.

Natürlich gibt es noch zahlreiche weitere Bakushi, die jeweils ihren eigenen Stil pflegen, in denen sie ihre individuellen Stile und Vorlieben ausdrücken. Von Performances auf grossen Bühnen bis zu kleinen, intimen Kammerspielen ist alles vertreten. Auch Crossovers mit anderen Formen von Kunst werden immer häufiger, zum Beispiel Tanz, Tantra oder Yoga.

Bu

Das Bu (分) ist ein traditionelles japanisches Längenmass, das etwa 0,303 cm entspricht. Es ist Teil des japanischen Shakkanhô-Systems, das von China übernommen wurde und ein generelles System für Masseinheiten ist.

Chô

Chô (町) ist eine Längeneinheit, die ca. 109 Metern entspricht. Dieses Masseinheit gehört zum japanischen Shakkanhô-System und ist heute ungebräuchlich. Gelegentlich stösst man jedoch in der Literatur noch darauf, wenn Distanzen in Chô angegeben werden.

Engi

Engi (演技) bedeutet „Performance“ von Ukete, also die aktive Beteiligung des Modells. Der emotionale Ausdruck wird dadurch intensiviert. Dies ist auch eine Herausforderung für Ukete, weil die Führung durch Bakushi mehr Raum lässt.

Der Begriff geht auf alte Theatertraditionen, wie zum Beispiel im Nô-Theater, zurück. Der Künstler Zeami Motokiyo beschreibt einen der Höhepunkte der Performance als das „Erblühenlassen der Blüten“. Damit meint er das Aufscheinen einer besonderen Intensität im Spiel des Schauspielers. Dies ist im Nô besonders schwierig zu erreichen, da die Schauspieler stets Masken tragen. Sie können so ihre Mimik nicht einsetzen, sondern nur durch ihre Bewegungen und ihre Stimme Gefühlszustände ausdrücken.

Izutsu - Nô-Theater - Engi des Schauspielers

Ähnlich wie beim Nô-Theater geht es auch im Shibari darum, durch die Engi Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Der Minimalismus des Yukimura-Ryû gleicht dabei der Maske vor dem Gesicht des Nô-Schauspielers.

Nur durch jahrelange Übung gelingt es, diese Engi zu perfektionieren. Dabei spielt einerseits die Kommunikation mit dem Bakushi, andererseits der Ausdruck zum Publikum hin eine wichtige Rolle. Nur durch die Dynamik zwischen Bakushi und Ukete entsteht auch eine passende Engi.

Ukete muss dabei die Balance finden zwischen dem eigenen Engi und der Führung durch Bakushi. Der Raum, der Ukete zugewiesen ist, muss dabei eingehalten werden, soll aber voll erforscht werden. Um dies zu erreichen ist Langsamkeit wichtig, da so Bakushi genug Zeit hat, einzugreifen, sollte Ukete die Grenzen des Raums überschreiten.

Hashira

Hashira bedeutet „Pfahl“ oder „Säule“. Es umfasst eine ganze Gruppe von Shibari-Mustern, die alle an einer aufrechten Säule oder einem Balken gemacht werden. Dabei werden meist Kombinationen aus einem Oberkörper-Muster und einem Hüftharness verwendet. Es sind viele verschiedene Posen möglich, sobald eine solide Konstruktion für die Hängung gemacht ist. Hashira-Muster sind aus dem fortgeschrittenen Bereich und werden erst im zweiten Drittel der Ausbildung unterrichtet.

Invertierte Hashira-Suspension mit Strappado an den Armen.

Invertierte Suspension mit Strappado. Entscheidend ist neben der Pose die Gewichtsverteilung zwischen den Armen und dem Taillen-Seil, so dass eine sichere Hängung entsteht. Die Hashira sollte ausserdem nicht zu nah an einer Wand stehen, so dass genug Platz ist, um auch ander Rückseite noch zu arbeiten. Die ideale Breite der Hashira beträgt dabei 10 bis 21 cm, so dass die Auflagefläche und die Stabilität der Hashira maximiert wird.

Hashira-Suspension mit Takatekote-Muster am Oberkörper.

Aufrechte Hashira-Techniken können mit jedem beliebigen Oberkörper-Muster kombiniert werden. Je mehr Freiraum zum Beispiel an den Beinen bleibt, desto mehr Möglichkeiten hat man zur visuellen Gestaltung.

Durch den hohen technischen Anspruch ist es besonders schwierig, die Kommunikation mit dem Partner aufrecht zu erhalten. Ausserdem schränkt die Säule den Bewegungsradius ein. Die Rückseite der Muster sind nicht so einfach zugänglich. Es ist ausserdem wichtig, den Körper so nah wie möglich an die Säule zu führen, damit die Pose anmutig und aufrecht bleibt.

Traditionell werden japanische Häuser als Holzbalkenkonstruktionen gebaut. Diese Balkenstrukturen ähneln europäischem Fachwerk. Diese Balken sind jedoch innerhalb der Räume oft freistehend. Daher kommt die Möglichkeit, entsprechende Muster traditionell zu gestalten. Die Assoziation mit einem traditionellen japanischen Bauernhaus, einem Minka (民家) sind hier das erklärte Ziel.

Hishi

Hishi (菱) bedeutet „Wassernuss“ und ist eine wichtige Form im Shibari. Die Wasserkastanie ist Teil vieler japanischer Familienwappen, der so genannten „Kamon“ (家紋). Dabei wird sie als Raute dargestellt. Diese Darstellung ist etwa so wie in der europäischen Heraldik Lilien oder Rosen stilisiert abgebildet werden.

Illustration der Wassernuss (Trapa natans), Prof. Dr. Otto Wilhelm Thomé Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz 1885, Gera, Germany
Illustration der Wassernuss (Trapa natans), Prof. Dr. Otto Wilhelm Thomé Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz 1885, Gera, Germany

Die Wassernuss kommt in Asien, aber auch im Mittelmeerraum vor. Die Knollen dienten seit der Steinzeit bereits als Nahrung, und das nicht nur in Asien. Mittlerweile gilt sie, je nach Region, als schützenswerte oder invasive Art.

Die rautenförmige Darstellung wird oftmals „Diamond“ genannt. Das kommt aus dem Englischen, wo die Raute im Kartenspiel „Diamond“ heisst. Diese Bezeichnung ist also eine Übertragung aus dem Englischen, nicht aus dem Japanischen.

Selbst Anfänger lernen schnell, Hishi zu verwenden. Gerade symmetrische Muster werden so noch schöner. Bakushi können durch den geschickten Einsatz dieser Form zeigen, dass sie Kazari beherrschen. Vor allem, wenn die charakteristischen Rauten an unerwarteten Stellen auftauchen, wirken sie entsprechend.

Im Shibari kommen Hishi häufig als Stilelemente in vielen Mustern vor. Sie können improvisiert werden oder die Grundlage ganzer Fesselmuster bilden, wie zum Beispiel im Nijû-bishi. Im Aisatsu des Osada-Ryû kommen sie bereits im 9. Kyû vor und bilden wichtige Designelemente.

Nijûbishi, Frontansicht, mit doppeltem Hishi.
Nijûbishi-Muster mit doppelter Hishi-Struktur.

Wenn Bakushi spontan und kreativ Hishi in den Mustern einsetzt, zeigt dies Erfahrung und Können. Die Schenkel der Raute müssen dabei symmetrisch sein und die Form selbst muss leer bleiben. Linien, die den Hishi kreuzen und in Dreiecke unterteilen, würden das Element stören. Die Strenge Symmetrie des Hishi kann jedoch durch Kuzushii-nawa aufgebrochen werden.

Darstellung eines Tameshigiri aus der Great Encyclopedia Vol.2, 1927, Heibonsha-Verlag

Hishi-Pattern haben aber auch eine historische Dimension. Während der Edo-Periode (1603-1868) war es üblich, dass neue Katana im so genannten Tameshigiri auf ihre Schärfe getestet wurden. Dabei wurden zum Teil auch Strafgefangene oder Leichen verwendet. Hishi-Fesslungen wurden in solchen Tests benutzt, um den Körper möglichst lange zusammenzuhalten.

Jô (丈) ist eine Längeneinheit, die etwa 3,03 Metern entspricht. Sie gehört zum japanischen Shakkanhô-System, das aus China übernommen wurde. Mittlerweile wird diese Masseinheit aber kaum noch verwendet.

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