Kategorie: Yukimura-Ryû

Aibunawa

Aibunawa (愛撫縄) bedeutet „Streichelndes Seil“. Es ist der Gegenbegriff zu Semenawa und ist eines der Kernkonzepte im Yukimury-Ryû. Es beschreibt die Art, wie das Seil eingesetzt wird, nämlich zärtlich und vorsichtig. Das Ziel ist es, Schmerz und unangnehme Empfindungen so weit wie möglich zu reduzieren.

Es geht um sanfte Reize und subtile Interaktionen, so dass sich ein harmonisches Miteinander zwischen Bakushi und Ukete entfaltet. Dabei geht es um ein liebevolles und sanftes Miteinander, das dabei hilft, Sinnlichkeit und tiefe Emotionen hervorzubringen. Dieses Art, Shibari zu machen, ist das Markenzeichen von Yukimura Haruki.

Extreme körperliche Reize wie Schmerz oder starke Kompression spielen keine Rolle. Derart starke Reize übersteuern den intuitiven Ausdruck von Ukete und erzwingen eine Reaktion, während Aibunawa eine Einladung ist, sich zu öffnen.

To me, shibari is an emotional exchange between a man and a woman. That´s unique to Japan – to express love and emotion entirely through the medium of rope. So Shibari is not how you do this tie or that tie, it’s how you use the rope to exchange emotions with another.

Yukimura Haruki

Es kann deutlich schwieriger sein, Aibunawa zu machen als Semenawa. Semenawa erfordert eine klare Führung, und Ukete weiss, was erwartet wird. Die körperliche Herausforderung dabei bewirkt schon viel, und hilft, mental in die richtige Haltung zu gelangen.

Aibunawa lässt jedoch mehr Raum und fordert mehr Kooperation. Es kommt dabei auch sehr auf die Vorlieben von Bakushi und Ukete an, welche Form von Shibari besser funktioniert.

Ambivalenz als Stilmittel

Aibunawa wird generell auch mit weniger Seil und lockerer gefesselt als Semenawa. Dies erlaubt die Illusion, dass eine Flucht aus dem Seil noch möglich ist, während jedoch die subtilen Fähigkeiten des Bakushi Ukete stets weiter führen. Die Hierarchie wird versteckt, nicht aufgehoben oder unterlaufen, und je mehr Ukete begreift, wie unentrinnbar die Situation ist, desto intensiver wird das Erleben.

Aibunawa hat also eine ambivalente Bedeutung und spielt bewusst mit dieser Vieldeutigkeit.

Engi

Engi (演技) bedeutet „Performance“ von Ukete, also die aktive Beteiligung des Modells. Der emotionale Ausdruck wird dadurch intensiviert. Dies ist auch eine Herausforderung für Ukete, weil die Führung durch Bakushi mehr Raum lässt.

Der Begriff geht auf alte Theatertraditionen, wie zum Beispiel im Nô-Theater, zurück. Der Künstler Zeami Motokiyo beschreibt einen der Höhepunkte der Performance als das „Erblühenlassen der Blüten“. Damit meint er das Aufscheinen einer besonderen Intensität im Spiel des Schauspielers. Dies ist im Nô besonders schwierig zu erreichen, da die Schauspieler stets Masken tragen. Sie können so ihre Mimik nicht einsetzen, sondern nur durch ihre Bewegungen und ihre Stimme Gefühlszustände ausdrücken.

Izutsu - Nô-Theater - Engi des Schauspielers

Ähnlich wie beim Nô-Theater geht es auch im Shibari darum, durch die Engi Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Der Minimalismus des Yukimura-Ryû gleicht dabei der Maske vor dem Gesicht des Nô-Schauspielers.

Nur durch jahrelange Übung gelingt es, diese Engi zu perfektionieren. Dabei spielt einerseits die Kommunikation mit dem Bakushi, andererseits der Ausdruck zum Publikum hin eine wichtige Rolle. Nur durch die Dynamik zwischen Bakushi und Ukete entsteht auch eine passende Engi.

Ukete muss dabei die Balance finden zwischen dem eigenen Engi und der Führung durch Bakushi. Der Raum, der Ukete zugewiesen ist, muss dabei eingehalten werden, soll aber voll erforscht werden. Um dies zu erreichen ist Langsamkeit wichtig, da so Bakushi genug Zeit hat, einzugreifen, sollte Ukete die Grenzen des Raums überschreiten.

Halsband-Übung

Die Halsband-Übung ist eine Nawajiri-Übung. Bakushi legt Ukete ein Seilhalsband an, das aus zwei Doppellagen besteht, die locker um den Nacken gelegt und vorne mit einem normalen Knoten geschlossen werden.

Das Halsband muss locker genug sitzen, damit es um den Hals gedreht werden kann und muss ausserdem genug Abstand zu Hals und Gesicht haben, so dass der kurze Bight den Körper nicht berührt. Das würde ablenken und die Übung schwerer machen.

Die Halsband-Übung beginnt im Sitzen, nachdem das Halsband angelegt ist. Bakushi nimmt das Nawajiri in die Hand und beginnt mit der Kommunikation. Es gibt drei Faktoren, mit denen gespielt wird. Der erste ist der Winkels des Seils, der zweite die Seilspannung und drittens der Abstand der Hand zum Halsband.

Kontaktaufnahme über das Nawajiri in der Halsband-Übung

Bakushi und Ukete kommunizieren durch das Seil miteinander. Jede Änderung eines Faktors erzeugt dabei eine Reaktion, und diese Reaktion weist die Richtung, in die es weiter geht. Bakushi und Ukete etablieren so ihre gemeinsame Kommunikation, während das Nawajiri die beiden Körper verbindet und erweitert.

Halsband-Übung, Harukumojuku, 2021
Leichte Veränderungen führen zu Reaktionen. Kommunikation entsteht.

Die Übung wird intensiver, wenn Körper- oder Blickkontakt bewusst verzichtet wird, so dass die einzige Verbindung zwischen Bakushi und Ukete das Nawajiri ist.

Diese Übung ist ein guter Einstieg in eine Shibari-Begegnung und ermöglicht ein intensives Aisatsu-shibari. Die ruhige Interaktion hilft bei der Konzentration und schult das Zuhören. Die eigene Stimmung und Gefühle treten hervor und es entsteht eine Verbindung zwischen Bakushi und Ukete.

Bakushi verändert die Parameter dabei mit Ruhe und Konzentration. Nach jeder Veränderung wartet Bakushi und beobachtet intensiv die Reaktion von Ukete, die sich jetzt ausdrückt. Erst, wenn diese Reaktion vollendet ist, gibt Bakushi den nächsten Impuls.

Dieses Spiel ist zeitlich unbegrenzt und ist nicht nur eine gute Aufwärmübung, sondern auch ein möglicher Start in eine intensive Shibari-Begegnung.

Kata-ashi kaikyaku

Kata-ashi kaikyaku (片足開脚) ist ein grundlegendes Pattern im Yukimura-Ryû. Es ist eine Newaza-Technik aus dem 4. Kyû. Der Kata-ashi kaikyaku ist eine fortgeschrittene Form, die einiges an Technik und Erfahrung voraussetzt. Sie besteht aus der Yukimura-Handschelle und dem Yukimura-Gote.

Bakushi legt dabei den Körper seitlich ab. Dann fixiert Bakushi das oben liegende Bein am Suspensionspunkt. Auf diese Weise wird das Becken geöffnet, so dass ein subtiles Spiel mit Seilspannung und dem Exponieren von Ukete entsteht. Während Bakushi die Position des Beines variiert, dient das Nawajiri als Kommunikationslinie.

Im Grunde ist der Kata-ashi kaikyaku eine Teilsuspension. Dies wird allerdings oft nicht so wahrgenommen, da der Körper fast vollständig auf dem Boden liegt. Die Formsprache nutzt jedoch aktiv den Suspensionspunkt, um Dreiecke und Diagonale zu zeichnen. Diese spiegeln sich in der Position und Haltung des Beines und des Körpers von Ukete.

Kata-ashi kaikyaku, niedrig, Harukumojuku 2021
Kata-ashi kaikyakue, niedrige Position

Obwohl die Grundhaltung entspannt ist, spielt seme eine Rolle. Bakushi hebt oder senkt die Fussgelenke, und erzeugt so Spannung. Kotobazeme ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Dieses Muster wird oft mit Seilen ausgeführt, die nur 4mm dick sind. So entsteht mehr Druck auf die Stellen, an denen das Seil den Körper berührt und die Impulse durch das Seil werden klarer.

Kata-ashi kaikyaku, hohes Bein, Harukumojuku, 2021
Kata-ashi kaikyaku, hohes Bein

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Pose. Vor allem das obere Bein, das nur am Fussgelenk fixiert ist, spielt eine wichtige Rolle. Die Interaktion zwischen den Partnern muss stimmen, damit anmutige und sinnliche Eindrücke entstehen. Eine Herausforderung dabei ist die nonverbale Kommunikation, die hauptsächlich durch das Nawajiri erfolgt. Das eigene Gefühl richtig zu betonen, so dass das Gegenüber es mit empfindet, ist die Voraussetzung für einen harmonischen Rhythmus.

Kemono

Kemono-Shibari (獣縛り) ist eines der grundlegenden Muster im Yukimura-Ryû. Es erinnert an ein gefangenes Tier, dem die Beine zusammengebunden wurden. Es ist eine der klassischen Bodentechniken (Newaza, 寝技). Es wird bereits im Einsteiger-Bereich unterrichtet und wird stetig weiter verfeinert.

Kemono-Shibari, Foto aus einer Lesson mit Yukimura Haruki, 2015, Tokio
Kemono-Shibari aus einer Lesson im Studio von Yukimura Haruki in Ebisu, Tokio im Jahr 2015

Maete-hikiage

Maete-hikiage shibari (前手引き上げ縛り) bedeutet sinngemäss „Pulling Game“. Bei dieser Übung, die im Sitzen ausgeführt wird, werden die Handgelenke in einer Yukimura-Handschelle zusammengebunden und das Seil durch den Suspensionspunkt (Shiten, 支点) umgelenkt. Danach übt Bakushi Zug auf das Seil aus und führt so die Arme von Ukete nach oben.

Das Ziel ist hierbei jedoch nicht, die Arme einfach direkt komplett zu strecken, sondern durch Kommunikation über das Seil Emotionen zwischen Bakushi und Ukete zu erzeugen. Es geht darum, den Balancepunkt zwischen Bakushi und Ukete zu finden. Die Kommunikation findet genau an diesem Balance-Punkt statt.

Dabei kann es vor und zurück gehen, je nachdem, wie die Dynamik und die Kommunikation sich entfalten.

Maete-hikiage shibari. Eine Nawajiri-Übung aus dem Yukimura-Ryû.

Es gibt kein spezielles Ziel und keine Zeitvorgabe, weil es um das Miteinander geht. Das Maete-hikiage shibari ist eine Aufwärmübung, die Bakushi und Ukete hilft, sich aufeinander einzustellen.

Nawajiri

Nawajiri ist der Begriff für den längeren Teil des Seils. Es wird auch als „laufendes Ende“ bezeichnet. Das Nawajiri kann auch das Ende des Seils kurz vor den Knoten sein. Es kann aktiv für die Kommunikation mit dem Modell genutzt werden und spielt eine grosse Rolle als reale und metaphorische Verbindung zwischen dem Bakushi und dem Modell.

Nawajiri - das laufende Ende des Seils.

Die Arbeit mit dem Nawajiri ist ein wesentlicher Teil der Ausbildung. Vor allem im Yukimura-Ryû spielt es eine prominente Rolle. Dieser minimalistische Stil betont die Tension und setzt eine grosse Sensibilität und Erfahrung voraus.

Tension

Tension bedeutet wörtlich „Spannung“. Meist wird damit die Seilspannung gemeint, also wie eng oder locker gefesselt wird. Im Yukimura-Ryû bezieht sich das allerdings auch auf die emotionale Spannung im Modell und dem Bakushi. Beide Aspekte beeinflussen sich gegenseitig und können benutzt werden, um intensive Stimmungen zu erzeugen.

Das komplexe Verhältnis zwischen der Seilspannung und der emotionalen Spannung eröffnet ein eigenes Spielfeld, mit dem sich bereites ganze Sessions gestalten lassen. Wie in vielen anderen Fällen auch sind die Parameter enge/lockere Fesslung und niedrige/hohe emotionale Spannung beliebig kombinierbar.

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